Über VORBRENNER

Vom Vorbrenner über den Brenner zum Vorbrenner oder In Rücksicht voraus die Verwandlung.

In den Versuchen einer knappen Definition des Vorbrenners, mit allen auf diesen zu- und weglaufenden Fäden, scheint der Begriff klar abgrenzbar. Nicht umsonst zeigt das Logo einen Kreis – also etwas, das sich vermeintlich schließen lässt. Und doch wehrt sich etwas, denn der Schriftzug respektiert nur scheinbar die Umzäunung, die man um ihn zieht. Die Zeichenkombination Vorbrenner drängt nach vorne, sticht ins Auge, sucht  auszubrechen. So sehr einem der Kreis eine beruhigte Zone vorgaukelt, der Vorbrenner lässt sich nicht gänzlich fassen, lässt sich nicht gänzlich fügen. Zu viele Fäden verlaufen durch ihn hindurch, Fäden die auf andere Begriffe verweisen.
Regional gedacht am augenscheinlichsten dabei ist die Spur die zum Brenner hochzieht, zum Pass und Übergang. Auch dieser ist ein komplexes Gemenge, das sich der Eindeutigkeit verwehrt. Jede Schwelle und folglich jeder Übergang und Pass ist ein Ort der Interaktion, ein Ort, an dem Verbindendes und Trennendes zu tage tritt, in relativer Enge eine Weite, ein Bereich erhöhten Druckes. So ist auch der Brenner ein Flaschenhals, ein Nadelöhr, ein kaum abgrenzbares Gebiet erhöhter Umtriebigkeit und Dichte. Hier verschwimmen die klassischen Kategorien mit der Folge, dass die ganze Gespenstigkeit der Welt zu tage tritt. Schwellenorte machen bewusst, dass „wir alle mehr oder weniger Gespenster“ sind.[1]Es muss so viele (davon) geben wie Sand am Meer“, schreibt Ibsen.[2] Der Brenner als Übergang, als Pass, bietet im Grunde also einen spektralen Blick in die Tiefe aller Existenz. Kein Wesen lässt sich eindeutig und für alle Zeiten festnageln. Alles ist relativ sowie auf sich selbst und auf anderes bezogen.[3]

Ein zweiter, historischer Faden, der sich in der Textur des Vorbrenners verwebt, ist die interdisziplinär und überregional ausgerichtete Zeitschrift Der Brenner. Auch sie bezieht sich auf den Brennerpass, sowie auf Karl Kraus´ Zeitschrift Die Fackel. Der Brenner als Druckwerk ist gleichfalls ein Nadelöhr verdichteter Betriebsamkeit. Der Geist wird hier am Umgehen, am Suchen gehalten, zwischen den Disziplinen, zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen expressionistischer Literatur, Philosophie, Theologie und bildender Kunst.[4] Dass dieses suchende Umgehen nicht ganz so zwanglos ist, wie der Herausgeber Ludwig von Ficker immer wieder beteuert, äußert sich insbesondere darin, wie sehr diese Bewegung von innen und außen her in Bedrängnis kommt, ins Stocken gerät. Mehrfach verschwindet die Zeitschrift von der Bildfläche und taucht schließlich in leicht verändertem  Gewande wieder auf. Dabei auffallend ist die existenzielle Dringlichkeit mit der man, sich selbst und die Welt als bedroht erfahrend, nach Wandlung und Erlösung Ausschau hält. So wie Karl Kraus´ Fackel, sollte auch Der Brenner ein leuchtendes und brennendes Mittel abgeben um einen Übergang, eine Aufklärung zu bewirken. Man wollte ein Brennglas bieten, um das, was als  Wert erscheint zu beleuchten, hingegen das, was missfällt, zu verbrennen.[5]
Der Brenner ist also nicht bloß ein Ort der Entscheidung und Verbindung, des Kampfes und Friedens sondern auch  eine Art von Waffe. Gleich ob man die Zeitschrift oder den Pass vor Augen hat: Der Brenner als ein ambivalentes und vielgestaltiges Etwas, das sich nicht gänzlich fügen lässt, ist nicht nur ein Ort erhöhten Druckes sondern auch ein Druckmittel, um etwas zu erreichen. Die Unberechenbarkeit, die Zwanglosigkeit, die Paradoxie von Schwellenorten wird dabei dem Gewohnten, Althergebrachten, Traditionellen vorgehalten, vorgeworfen – mit dem Abgrund der Grundlosigkeit wedelnd. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Begriffe Revolution und Widerstand in der Zeitschrift Der Brenner hochgehalten werden. Das Rechtfertigungsproblem, das dabei mehrfach in Mitteilungen abgehandelt wird, stets im Vertrauen dies einst lösen zu können, bleibt bis zuletzt bestehen. Könnte gut sein, dass auch dieses dazu beitrug, dass die Zeitschrift nach ihrem letzten Aufflackern nicht noch einmal erschien.[6] Titel, wie an den Wassern Babylons, Entwürfe zu einer Apokalypse, Reiselied oder Pathologie der Wahrheit, lassen einen in der letzten Ausgabe förmlich die Resignation über die Sprachverwirrung in Bezug auf eine visionäre Sicht der Dinge spüren.[7]

Mit diesem Blick zu Boden tritt unvermittelt hinter dem Brenner der Vorbrenner in Erscheinung, relativ unbestimmt und in gewisser Weise zwanglos. Unbedarft, könnte man sagen, in relativem Vertrauen, mit ebensolcher Zuversicht. Interdisziplinär und überregional, so die Ausrichtung. Und der Name steht für folgende Frage: Ist es denn nötig am Mangel der Welt zu verzweifeln, zu resignieren und zwar deshalb, weil man mehr will als es zu erreichen gibt?

Vorbrenner, das heißt sich vor Erreichen der entscheidenden Stelle, vor dem Pass und Übergang, als Umgehendes zufrieden zu geben – das heißt sich im relativ Unvollendeten einrichten zu suchen, im Prozesshaften – und dies wohlwissend, dass man ohne ein utopisches Vorneweg nicht existieren kann. Vorbrenner, das ist eine Gemengelage, ein Wirrwarr unterschiedlicher Strömungen, Tendenzen, Disziplinen, Richtungen. Vorbrenner das bedeutet sich im Mehrdeutigen, Vielfältigen, Spektralen, ja im Hantologischen einzurichten. Den absoluten Burner abseits des Relativen gibt es nicht. Das Reiselied das hier anklingt, ist das eines allgemeinen Unterwegs-Seins. Hadert die Zeitschrift Der Brenner noch mit der Erlösung, mit einer Befreiung, mit einer absolut zwanglosen Situation in der man endlich hinter den Vorhang des Horizonts Einlass findet, so zeichnet sich aus der Perspektive des Vorbrenners ein relatives Annehmen dessen ab, was Gegeben ist samt gestalterischer Gabe. Vorbrennen, das heißt bezugnehmen auf das, was in Beziehung setzt, und also auch auf all das, was uns träumen, hoffen und glauben lässt. Insoferne kann man auch den Vorbrenner als eine Bewegung fassen, als eine relative Motiviertheit.

Bewog dies alles Ibsen noch dazu, die menschliche Existenz im Bühnenstück Die Gespenster als jämmerlich lichtscheu und Teil einer Tragödie darzustellen, so zeigt sich aus einer Vorbrenner-Position an einem solchen Ort durchaus auch Humoreskes und Komisches. Der „Wahrblick“ „zum Heil der abendländischen Menschheit“, der die Zeitschrift Der Brenner noch als „brennende Sorge“ durchzieht,[8] ist im Vorbrenner einer schlichten Ahnung relativer Geistesgegenwärtigkeit gewichen, ohne deshalb alle Besserung fahren lassen zu wollen. Längst ist bekannt, dass die Gespenstigkeit der Welt in einer komplexen Vermengtheit und gegenseitigen Gebundenheit liegt. Wer hier wen an der Nase herum führt ist immer schon zweideutig und unbestimmt. In diesem Sinne heißt es in relativer Zuversicht weiter im Vorbrennenden umzugehen, weiter zu reisen. Es ist eben nicht nur ein Pech, sondern auch ein Glück dass nichts vollendet ist. So gibt’s immer was zu tun.


[1] Ibsen, Gespenster, Reclam 1957, S. 42
[2] Ibsen, Gespenster, Reclam 1957, S. 42
[3] widersprüchlich.
[4] Hier findet man Beiträge von Carl Dallago, Theodor Haecker, Georg Trakl, Else Lasker-Schüler, Ludwig Erik Tesar uvm. 
[5] Nicht umsonst leitet sich das Wort Brenner von Prenner – einer Person die Brandrodung betreibt – ab.
[6] „Was im Wort hier aufscheint und verstummt, gehört, auf weite Sicht hin fällig geworden, einer Stunde der Besinnung an, die den Brenner ermächtigt, noch im Ablauf seiner Gnadenfrist zwischen Gestern und Morgen ein Zeichen seiner Geistesgegenwart zu geben“ (Brenner, ACHTZEHNTE FOLGE / 1954)
[7] „Nur eine einzige Masche des Gewebes (vom Rechten und Unrechten) wollte ich auftrennen“, da „riß das Ganze auf.“Da merkte ich, dass es (…)  selbstgemachtes Flickwerk war“, schreibt Ibsen in seinem Stück Die Gespenster (Reclam 1957, S. 42f)
[8] „Zwölf Jahre war dem Brenner Schweigen auferlegt.  Nun tritt er, die Tragweite seines Wieder- auflebens im Wort dem alten Wahrblick der Besinnung in Dichtern und Denkern anvertrauend, noch einmal hervor, um allen, denen das Heil der abendländischen Menschheit als brennende Sorge von morgen vor Augen steht, im Bildraum seiner Geistesgegenwart den Horizont einer neuen Zuversicht zu erschließen.“ (Der Brenner sechzehnte Folge, 1946)